Ist CGI besser als Produktfotografie?
Pauschal lässt sich diese Frage nicht beantworten. Je nach Anwendungsbereich, Produktart und genauen Anforderungen haben beide Methoden der Produktabbildung ihre Daseinsberechtigung. Erst mal muss man verstehen, wie der CGI Workflow funktioniert.
Was bedeutet „CGI“?
CGI steht für Computer Generated Imagery, also am Computer erstellte Bilder. Im Gegensatz zur Fotografie ist man am Computer nicht an physikalische Gesetze gebunden und hat daher wesentlich mehr Möglichkeiten. Auf der anderen Seite muss in der virtuellen Welt alles genau beschrieben werden, was gezeigt werden soll. Je nach Anwendungsfall gibt es also Vorteile und Nachteile für beide Technologien.
Ein wesentlicher Punkt im CGI-Workflow: die Datenaufbereitung
Soll ein Fotograf ein Produkt ablichten, so fährt entweder er zum Hersteller oder das Produkt wird in sein Studio bzw. zu einer Shooting-Location geliefert.
Diese analoge Art des Transports fällt im CGI-Workflow komplett weg. Wir als 3D-Artists erhalten meist als ersten Schritt die Konstruktionsdaten des Produkts, auch als CAD-Daten (= „Computer-aided Design“ oder „Computer-aided Drafting“) bekannt. Im Vergleich zum Modelling, bei dem man eher mit Approximationen zum Referenzprodukt arbeitet, bilden CAD-Daten die Basis für die Konstruktion des Produkts ab. Man hat also ein exaktes digitales Abbild des Produkts vorliegen, einen sogenannten „Digital Twin“.
Diese CAD-Daten werden mit Tools wie InstaLOD konvertiert, um sie für unsere 3D-Software Maya lesbar zu machen. Hierbei kann man auch die Auflösung der Produktgeometrie einstellen, sodass aus unschönen Ecken weiche Rundungen werden. Anschließend müssen Materialien erstellt und der passenden Geometrie zugewiesen werden, um das Produkt realistisch abzubilden.
Hoch aufgelöste Daten (links) eignen sich für Close-Ups. Niedrig aufgelöste Daten (rechts) für Real-Time-Anwendungen.
Unten: Das fertige Rendering, auf reinweißem Hintergrund mit weichem Schatten.
CGI punktet bei großem Produktsortiment
Ein großer Vorteil von CGI gegenüber Fotografie liegt darin, dass aus einem Modell verschiedene Varianten eines Produkts erstellt werden können, beispielsweise wenn es in unterschiedlichen Farben erhältlich ist. Auch Produkte, die sich noch in der Entwicklung befinden oder z.B. der Geheimhaltung unterliegen, können schon frühzeitig abgelichtet und zu Marketingzwecken visualisiert werden. Das spart Zeit, da gewisse Arbeitsschritte parallel ablaufen können.
Selbst wenn sich das Design des Produktes später ändert oder es in verschiedenen Größen erhältlich ist, können sowohl Lichtset als auch Perspektive aus vorherigen Visualisierungen wiederverwendet werden. Kommen Jahre später weitere Varianten zur Produktkollektion hinzu, lässt sich ein kontinuierlicher Stil gewährleisten – das ist so in der Fotografie nicht möglich.
Es entsteht also eine Prozesssicherheit sowie ein Kostenvorteil gegenüber traditioneller Produktfotografie, der umso größer ausfällt, umso größer das Produktsortiment ist. Besonders wenn man Produkte im leeren Raum zeigen möchte, eignet sich CGI hervorragend. Und das kommt oft vor, denn mit Freistellern kann man hochwertiges Marketingmaterial wie Produktbroschüren, Website-Content oder Messebanner flexibel gestalten.
Weitere Vorteile von CGI sind die uneingeschränkte Perspektivwahl, endlose Umgebungen oder der Blick ins Innere von Produkten.
Echte Emotionen brauchen echte Menschen
Auf der anderen Seite gibt es Bilder, bei denen Produkte in Interaktion mit Menschen gezeigt werden sollen. Sobald es darum geht, echte Emotionen von echten Menschen zu zeigen, ist Fotografie eindeutig die bessere Wahl. Zwar gibt es auch hier immer mehr Möglichkeiten mit computergenerierten Personen (sogenannte digitalen Avataren oder 3D-Charactern), diese erfordern aber noch sehr viel Arbeit und demnach Budget. Hier würden wir von einer low-budget Umsetzung abraten, da der Effekt sonst schnell ins negative Umschlagen kann, nämlich wenn man das Uncanney Valley betritt. Wen das Thema interessiert, kann sich unseren Blog-Artikel über virtuelle Influencer anschauen.
Kurz gesagt, als Fotograf kann man auf die reale Umgebung und echte Menschen zurückgreifen und diese ein Stück weit gestalten. Zum Beispiel kann man entscheiden, um welche Uhrzeit man fotografieren möchte, am helichten Tag, in der Dämmerung oder bei Nacht. Wie allerdings das Wetter zu dieser Zeit sein wird, ist schwer vorherzusagen. Mit CGI dagegen können bzw. müssen alle Parameter genau definiert werden, sind dann aber zuverlässig und beständig. Wer also nach Prozesssicherheit sucht und klare Vorstellung vom Bildaufbau hat, kann durchaus von den vielen Möglichkeiten, die CGI zu bieten hat, profitieren.
Photo by Michael Dam on Unsplash
Das Beste aus beiden Welten
Natürlich kann man auch beide Technologien wunderbar miteinander verbinden. Eine fotografierte Person oder ein Gegenstand lassen sich auch in virtuelle Umgebungen einbinden. Oder andersrum, gerenderte Produkte integrieren sich hervorragend in fotografierte Umgebungen. Hier muss man im 3D-Workflow besonders darauf achten, die Perspektive und Lichtsetzung des realen Motivs so exakt wie möglich nachzuahmen. Das ist bei Standbildern deutlich einfacher als bei Bewegtbildern.
Ein Tool, das wir gerne zur Perspektivbestimmung nutzen, ist FSpy. Mit Hilfe im Referenzbild festgelegter Achsen werden die benötigten Kameraparameter berechnet. Das Ergebnis ist bei richtiger Anwendung sehr präzise und bietet eine solide Basis für weitere Arbeitsschritte. Um perfekte Ergebnisse zu erhalten, müssen aber noch weitere Parameter berücksichtigt werden, wie etwa die Linsenverzerrung der Objektive, oder der Sensor der Kamera.
Unser Fazit: auf den Anwendungsbereich kommt es an
Wie bereits erwähnt bringen beide Workflows, CGI und Fotografie, ihre eigenen Vor- und Nachteile mit sich. Möchte man Emotionen einfangen oder eine bestimmte, bereits existierende Location ablichten, eignet sich Fotografie besser.
Geht es jedoch darum, ein Produkt oder besser eine Produktpalette möglichst fehlerfrei und identisch für Werbezwecke aufzubereiten, ist man wiederum mit CGI besser beraten.
Eine ironische Beobachtung lässt sich bei beiden Technologien machen: oft versuchen Artists, den Look der jeweils anderen Methode zu imitieren. Während viele Fotografen, besonders bei Produktfotografie, versuchen, das Motiv möglichst clean und „weich“ darzustellen, versucht CGI immer mehr, kleine Makel wie Kratzer oder Staub einzuarbeiten, um einen höheren Grad an Realismus zu erzeugen.
Wer immer noch nicht genug vom Thema CGI hat, kann mit diesem gelungenen Beitrag der Kollegen von Lightshape weitermachen.