3D-Charaktere werden immer realistischer, egal ob in Real-Time-Anwendungen oder vorgerenderten Images und Animationen. In vielen Fällen funktioniert das sehr gut, in anderen wird man als Betrachter von einem Gefühl des Unwohlseins überkommen.
Oft kann man nicht ganz genau sagen, woran es liegt, aber irgendwie wirken besonders realitätsgetreue Charaktere manchmal unrund, wenn nicht sogar gruselig. Das nennt man den „Uncanny Valley Effekt“. Der Effekt erstreckt sich allerdings nicht nur auf virtuelle Personen, sondern tritt auch in der realen Welt auf.
Was ist das „Uncanny Valley“?
Das sogenannte „Uncanny Valley“ wurde erstmals 1970 von Masahiro Mori, Professor der Robotertechnik, im japanischen Wissenschaftsmagazin „Energy“ definiert. Es beschreibt den Zusammenhang zwischen dem humanoiden Erscheinungsbild eines Objekts und dessen Auswirkung auf die Emotionen des Betrachters. Mori stellte fest, dass wir zunächst positiv auf Objekte reagieren, die dem Menschen oder bekannten Tierarten nachempfunden sind. Oft verstärkt sich der Effekt, wenn das Erscheinungsbild zusätzlich das „Kindchen-Schema“ bedient. Allerdings steht unsere Wahrnehmung auch in Zusammenhang mit einer gewissen Erwartungshaltung gegenüber dem Objekt.Je ähnlicher es dem Menschen sieht, desto eher erwarten wir auch menschliches Verhalten. Zeigt das Objekt dieses nicht, befinden wir uns inmitten des Uncanny Valleys und das beobachtete Objekt weckt keine Sympathie mehr in uns. Im Gegenteil, wir fühlen Unbehagen, Ekel oder Furcht.
Unterschieden wird hierbei zusätzlich zwischen bewegten und unbewegten Objekten. Grundsätzlich erhöht „Bewegung“ zunächst den Sympathiewert eines Objekts. Auch in diesem Fall muss die Art der Bewegung aber zum Aussehen des Objekts bzw. unserer dementsprechenden Erwartungshaltung passen.
In der folgenden Tabelle ein paar Beispiele:
Anwendung im 3D-Bereich
Wer sich etwas mit der 3D-Industrie beschäftigt, der weiß, was für enorme Fortschritte in den letzten Jahren bei der Erzeugung realistischer 3D-Charaktere gemacht wurden.
Nicht nur sehen sie immer realistischer aus. Nein, mit Tools wie beispielsweise MetaHuman ist auch ihre Generierung so einfach geworden, wie noch nie.
Und auch passende Gestiken und Mimiken gibt es entweder vorgefertigt oder lassen sich mit Hilfe von Motion Tracking Suits selbst erstellen.
Alles in allem erschafft man mit diesen Mitteln in realtiv kurzer Zeit und mit relativ überschaubarem Aufwand überragende Ergebnisse, die Sympathie und Mitgefühl im Betrachter auslösen.
Die Betonung liegt dabei auf „relativ“ – im Vergleich zu vor 10, 15 oder 20 Jahren. Character Creation ist immer noch eins der am schwierigsten zu bedienenden Felder in der 3D-Branche. Denn durch die vielen älltäglichen Referenzen sieht auch der Laie schnell, wenn irgendetwas, seien es auch noch so kleine Details, nicht zusammenpasst. Ein Problem, das man beispielsweise bei der Animation einer Maschine meist nicht hat, da die wenigsten Menschen den realistischen Bewegungsablauf besagter Maschine kennen.
Die „Rundheit“ eines Characters mit passender Animation ist weitaus wichtiger, um dem Betrachter ein positives Gefühl zu vermitteln, als Hyperrealismus.
Oft ist man daher besser beraten, sofern Fotorealismus nicht im Fokus steht, auf stilisierte Charaktere zurückzugreifen. Durch das abstrakte visuelle Erscheinungsbild erhält die Figur vom Betrachter quasi die „Erlaubnis“ sich auch abstrakt und simplifiziert zu bewegen.
Diese Phänomen wird sich selbst in Top-Notch-Animationsstudios wie Disney zunutze gemacht. Indem man die Charaktere bereits im Design verniedlicht, schafft man nicht nur einen wiedererkennbaren Stil, sondern auch Raum für übertriebene, dynamische Bewegungen. Diese wiederum helfen, im Betrachter mehr und deutlichere Emotionen auszulösen.
Eine klare Watch-Empfehlung, um sich selbst etwas in dem Zusammenspiel zwischen Grafikstil und Uncanny Valley Effekt (oder eben das Ausbleiben desselbigen) zu schulen, ist für mich die Netflix-Serie „Love, Death & Robots“. Die Episoden sind sowohl inhaltlich als auch grafisch völlig unabhängig voneinander und decken alle erdenklichen Stile ab, vom klassischen 2D-Anime über Stop-Motion bishin zu fotorealistischen 3D-Animationen. Hier kann man schön beobachten, wie sich mit dem visuellen Abstraktionsgrad auch die Art der Animation ändert.
In der Spielebranche wiederum setzen viele Entwickler auf möglichst realistische Grafik. Böse Zungen behaupten, so lasse sich von schlechtem bis hinzu nicht vorhandenem Storytelling ablenken. Auch Reboots älterer Spiele erhalten dadurch, gemeinsam mit ein paar Anpassungen am Gameplay, ihre Daseinsberechtigung. Dabei muss man aber im Hinterkopf behalten, dass fotorealistische Cutscenes a) oft nur wenige Minuten lang sind und b) diese oft outgesourced werden auf spezifische Animationsstudios.
Das alles soll die aufwendige Arbeit, die dahinter steckt, auf keinen Fall unter den Scheffel stellen. Der Grad an Realismus, der mittlerweile auch im Bereich des Realtime Renderings erreichbar ist, ist phänomenal.
Allerdings wage ich zu behaupten, dass man auch hier, ähnlich wie bei stilisierten Animationsfilmen, leicht unrealistische Gestiken und Mimiken verzeiht. Aufgrund der interaktiven Komponente, der cinematischen Inszenierung und dem gesamten Spielerlebnis.
Und auch aufgrund dessen, das hier grafisch zwar ein hohes Maß an Realismus erreicht wird, aber eben noch kein Hyperrealismus.
Ausblick in die Zukunft
Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Gerade im Bezug auf die Spielebranche stellt sich natürlich wieder schnell die Frage nach Virtual Reality, Gamification und so weiter. Wie weit werden virtuelle Inhalte mit unserem realen Leben verschmelzen? Und mit welchem grafischen Detailgrad? Möchte ich lieber bunte, stilisierte Pokemon durch eine AR-Anwendung im Büro rumhüpfen sehen oder einen super-realistischen, aber deshalb vielleicht auch etwas furchteinflößenden Drachen vor dem Fenster?
Ziemlich cool und beeindruckend fände ich beides, so viel steht fest.
Meine persönliche Grenze würde wohl da liegen, wo ich reale Individuen nicht mehr von künstlich erstellten Personen unterscheiden könnte. Im Umkehrschluss also genau da, wo das Uncanny Valley überwunden wurde.
Ich wage zu bezweifeln, dass wir diesen Punkt jemals erreichen. Denn wo es Technik gibt, da wird es auch immer technische Fehler geben, die uns aus den phantastischen Welten herausreißen und zurück in die Realität katapultieren.
Aber wer weiß? Vielleicht kommt der Tag ja doch, an dem wir Mensch nicht mehr von Maschine unterscheiden und gar nicht beschreiben können, warum wir diese eine „Person“ einfach etwas… unheimlich finden.